Kapitelübersicht | NKLM
Kompetenzen sollen hier allgemein als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2002, S. 27f) verstanden werden. Eine englischsprachige Definition ärztlicher Kompetenz lautet: „… professional competence is the habitual and judicious use of communication, knowledge, technical skills, clinical reasoning, emotions, values, and reflections in daily practice for the benefit of the individual and community being served“ (Epstein & Hundert 2002, S. 226). Für die medizinische Ausbildung sollen diese Kompetenzen zum einen aus der Berufswelt von Ärztinnen / Ärzten und zum anderen aus den Anforderungen der Gesellschaft abgeleitet werden. In diesem Sinne werden im NKLM zentrale Kompetenzen in Form von Rollen zugeordnet, welche sich ihrerseits wiederum aus Teilkompetenzen und Lernzielen zum medizinischen Wissen, wissenschaftlichen und klinischen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie professionellen Haltungen zusammensetzen. Zusammenfassend werden im NKLM Kompetenzen verstanden als verfügbare kognitive und praktische Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Problemlösung sowie die damit verbundenen Einstellungen, diese erfolgreich einzusetzen.
Der Katalog gliedert sich in drei große Abschnitte mit jeweils mehreren Kapiteln:
Abschnitt I Rollen der Ärztin / des Arztes
Die Funktion von Abschnitt I ist es, die Rollen der Ärztin / des Arztes (zentrale, übergeordnete Kompetenzen) darzustellen, auf die das Medizinstudium hinführen soll.
Abschnitt II Medizinisches Wissen, klinische Fähigkeiten und professionelle Haltungen
Funktion von Abschnitt II ist es, diejenigen Inhalte weiter zu konkretisieren, welche zum Erlernen der Arztrollen (Abschnitt I) sowie der wissenschaftlichen und klinisch-praktischen Kompetenz in der Gesundheitsversorgung (Abschnitt III) notwendig sind.
Abschnitt III Patientenzentrierte Gesundheitsversorgung
In Abschnitt III werden konkrete Konsultationsanlässe und Erkrankungen aufgelistet, die am Ende des Medizinstudiums bis zu einem definierten Grad theoretisch und praktisch beherrscht werden sollen. Zusammen mit den Arztrollen aus Abschnitt I werden damit die wesentlichen Eckpunkte des Medizinstudiums definiert.
Die drei Abschnitte werden in der Abbildung 3 veranschaulicht. Die Inhalte der drei Abschnitte werden über Querverweise miteinander verknüpft. Außerdem soll in den Abschnitten I und II durch Anwendungsbeispiele die Nutzung durch die medizinischen Fakultäten veranschaulicht und erleichtert werden.
Die Arztrollen aus Abschnitt I sind inhaltlich eng mit Abschnitt II verbunden. Das gilt in besonderer Weise für die Rolle der Gelehrten / des Gelehrten mit dem Kapitel „Medizinisch-wissenschaftliche Fertigkeiten“ und für die Rolle der Kommunikatorin / des Kommunikators mit dem Kapitel „Ärztliche Gesprächsführung“. Außerdem eng miteinander verbunden sind darüber hinaus die Rolle der Gesundheitsberaterin und -fürsprecherin / des Gesundheitsberaters und -fürsprechers mit dem Kapitel „Gesundheitsförderung und Prävention“ sowie die Rolle der / des Professionell Handelnden mit dem Kapitel „Ethik, Geschichte und Recht“.
Abb. 3 Gliederungsübersicht des NKLM
Innerhalb der Unterkapitel wurde eine dreistufige, hierarchische Gliederung eingesetzt:
Die Ebenen 1 und 2 haben Empfehlungscharakter. Die Ebene 3 soll von den medizinischen Fakultäten erprobt und kritisch evaluiert werden. Die Identifikations-Nummer (ID) der (Teil-)Kompetenzen und Lernziele gibt Aufschluss über das Unterkapitel und die jeweilige Gliederungsebene. Die erste Ziffer zeigt die Zugehörigkeit zum jeweiligen Unterkapitel an. Die Anzahl der nachfolgenden Ziffern verweist auf die jeweilige Gliederungsebene. Zum Beispiel bezeichnet die ID 6.2.1.2 ein Lernziel (Ebene 3) in Kapitel 6, während die ID 12.5.2 auf eine Teilkompetenz (Ebene 2) in Kap. 12 hinweist.
Die professionellen Rollen, die von Ärztinnen / Ärzten eingenommen werden, sind aus dem kanadischen CanMEDS-Rahmenkonzept (Frank 2005; Rollenbezeichnungen im Original werden unten jeweils in Klammern angegeben) abgeleitet, welches sich ursprünglich auf ein fachärztliches Kompetenzniveau bezog, aber international eine große Akzeptanz und Verbreitung auch für die medizinische Ausbildung gefunden hat. Das Modell wurde dafür auf das Kompetenzniveau von Absolventinnen / Absolventen der medizinischen Ausbildung übertragen und für den vorliegenden NKLM im Kontext der ÄAppO und der MBO-Ä weiterentwickelt und angepasst.
Unter den ärztlichen Rollen kommt der Medizinischen Expertin / dem Medizinischen Experten (Medical Expert) eine essentielle Position zu. Die medizinische Expertin / der Medizinische Experte greifen auf medizinisches Wissen, wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, klinische Fähigkeiten und Fertigkeiten und professionelle Haltungen zurück, welche disziplinübergreifend anhand weiterer Kompetenzen und Lernziele im NKLM in Abschnitt II genauer beschrieben werden (siehe Abb. 3). In Verbindung mit den Kompetenzen der anderen in Abschnitt I beschriebenen ärztlichen Rollen Gelehrte / Gelehrter (Scholar), Kommunikatorin / Kommunikator (Communicator), Mitglied eines Teams (Collaborator), Gesundheitsberaterin und -fürsprecherin / Gesundheitsberater und -fürsprecher (Health Advocate), Verantwortungsträgerinnen und Managerinnen / Verantwortungsträger und Manager (Manager) sowie Professionell Handelnde / Professionell Handelnder (Professional) dienen diese der bestmöglichen Umsetzung einer patientenzentrierten Gesundheitsversorgung. Zentrale Bezugspunkte hierfür sind im Rahmen der medizinischen Ausbildung die Anlässe für ärztliche Konsultationen und die Erkrankungen (Abschnitt III).
In den sieben Arztrollen werden übergeordnete Kompetenzen, Teilkompetenzen und Lernziele bis zum Abschluss des Studiums beschrieben, die zur ärztlichen Weiter- und Fortbildung befähigen und als Stränge im Sinne eines lebenslangen Lernens und Reflektierens der eigenen Kompetenzen fortentwickelt werden sollen.
Die Ärztin / der Arzt als Medizinische Experteninnen / Medizinische Experten
Am Ende der ärztlichen Ausbildung stehen wissenschaftlich und praktisch in der Medizin ausgebildete Ärztinnen / Ärzte (Expertinnen / Experten), befähigt zur eigenverantwortlichen und selbstständigen ärztlichen Berufsausübung, zum eigenständigen Erkenntnisgewinn, zur Weiterbildung und ständigen Fortbildung. Als Ärztinnen / Ärzte wenden sie erforderliche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie professionelles Verhalten an und integrieren die unterschiedlichen ärztlichen Rollen im Dienste einer professionellen Patientenversorgung.
Die Ärztin / der Arzt als Gelehrte / Gelehrter
Als Gelehrte erhalten und verbessern Ärztinnen / Ärzte ihr professionelles Handeln durch stetiges, lebenslanges Lernen und durch kritische Evaluation und Anwendung wissenschaftlicher Informationen und ihrer Quellen. Sie fungieren als Lehrende für verschiedene Zielgruppen (z. B. Patientinnen / Patienten, Politikerinnen / Politiker, Gesundheitsberufe, akademische Einrichtungen, Lehrende und Studierende sowie Kolleginnen / Kollegen) und leisten einen Beitrag zur Entstehung, Verbreitung, Anwendung und Translation neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und medizinischer Praktiken.
Die Ärztin / der Arzt als Kommunikatorinnen / Kommunikatoren
Ärztinnen / Ärzte erkennen die zentrale Bedeutung der Kommunikationsfähigkeit für den Arztberuf und die Gesundheitsversorgung und gestalten eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung, die den gesamten Zeitraum der medizinischen Begegnung sowie alle Formen der Kommunikation umfasst. Dabei beherrschen Ärztinnen / Ärzte eine professionelle Gesprächsführung und strukturieren das Gespräch von Anfang bis Ende unter Berücksichtigung der jeweiligen Gesprächsaufgaben und Gesprächstypen. In ihrer Rolle erkennen sie auch intensive oder belastende Emotionen bei den Patientinnen / Patienten und können damit empathisch umgehen, ohne die eigenen Grenzen aus den Augen zu verlieren. Sie kennen die typischen, sensiblen Themenfelder und herausfordernden klinischen Kontexte im ärztlichen Beruf und besitzen spezifisches kommunikatives Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, um situations- und patientenangemessen zu handeln. Ärztinnen / Ärzte können sowohl mit individueller Unsicherheit als auch mit genereller Ungewissheit von medizinischen Entscheidungen umgehen und diese entsprechend thematisieren. Sie verfügen über die Kompetenz zu einer angemessenen Fehler- und Risikokommunikation. Im Rahmen der Arzt-Patienten-Interaktion erkennen und benennen sie gesunde und riskante Verhaltensweisen von Patientinnen / Patienten und können indizierte Verhaltensänderungen durch ein grundlegendes Wissen über entsprechende Beratungs- und Therapiemöglichkeiten unterstützen. In ihrem kommunikativen Handeln berücksichtigen sie soziokulturelle und sozioökonomische Einflussfaktoren sowie eingeschränkte Kommunikationsvoraussetzungen, die in medizinischen Situationen eine wichtige Rolle spielen. Ärztinnen / Ärzte kommunizieren adäquat mit Medienvertretern und in der Öffentlichkeit. Durch ihre Rolle als Kommunikatorinnen / Kommunikatoren nehmen sie einen positiven Einfluss auf die Patienten-Variablen Sicherheit, Adhärenz, Outcome und Zufriedenheit.
Die Ärztin / der Arzt als Mitglieder eines Teams
Ärztinnen / Ärzte arbeiten mit vielen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen sowie mit anderen Professionen partnerschaftlich und effektiv in Teams zusammen, um eine patientenorientierte Gesundheitsversorgung zu verwirklichen. Zusammenarbeit beschreibt die unterschiedlichen Kompetenzen, die notwendig sind, um mit allen an der Versorgung von Patientinnen / Patienten beteiligten Personen (und Organisationen) so zu kommunizieren, dass eine wissenschaftlich fundierte, bestmögliche und effiziente Patientenversorgung realisiert wird. Ärztinnen / Ärzte sollen in diesem Kontext befähigt sein, die im Sinne von Patientinnen / Patienten indizierten diagnostischen, beratenden und therapeutischen Tätigkeiten (Maßnahmen) zu koordinieren und zu integrieren. Hierzu gehören allgemeine Teamfähigkeiten, die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen sowie mit ärztlichen Kolleginnen / Kollegen unterschiedlicher medizinischer Disziplinen und anderen Wissenschaftlern. Um eine Kontinuität in der Patientenversorgung zu gewährleisten, ist zudem eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit von hoher Bedeutung.
Die Ärztin / der Arzt als Gesundheitsberaterin und -fürsprecherin / Gesundheitsberater und -fürsprecher
Ärztinnen / Ärzte in ihrer Rolle als Gesundheitsberaterin und -fürsprecherin / Gesundheitsberater und -fürsprecher erfassen und fördern die Gesundheit und den gesunden Lebenswandel von individuellen Personen, von Patientengruppen und von Bevölkerungsgruppen. Sie tun dies selbstständig und in Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen sowie Institutionen und Organisationen des Gesundheitswesens im Sinne von Patientinnen / Patienten und der Allgemeinheit. Sie sehen es als ihre Aufgabe, Missverhältnisse des Gesundheitszustandes und der Lebenserwartung von Patientinnen / Patienten, Patientengruppen und Bevölkerungsgruppen sowie deren Folgen zu erkennen und auf eine Reduktion von Missverhältnissen und deren Folgen hinzuwirken. Ärztinnen / Ärzte verstehen sich dabei selbst in einer Vorbildfunktion hinsichtlich des Umgangs mit der eigenen Gesundheit (vgl. Professionelles Handeln).
Die Ärztin / der Arzt als Verantwortungsträgerin und Managerin / Verantwortungsträger und Manager
Ärztinnen / Ärzte sind wichtige und aktive Gestalter im Gesundheitssystem mit einem hohen Maß an Verantwortung. Sie sind mit den Aufgaben und Funktionen der Institutionen, Organisationen, Verbände und Versorgungsstrukturen im Gesundheitssystem vertraut und kennen die wesentlichen rechtlichen Grundlagen der Gesundheits- und Krankenversorgung. Sie beteiligen sich an der (medizinisch-wissenschaftlichen und strukturellen) Verbesserung der Gesundheitsversorgung, treffen Entscheidungen, die ihrerseits Allokation von Ressourcen zur Folge haben und wenden Maßnahmen zur Qualitätssicherung/ -management an. Effektive Karriereplanung und Selbstorganisation sowie Führungskompetenz sind integrale Bestandteile dieser Rolle.
Die Ärztin / der Arzt als Professionell Handelnde / Professionell Handelnder
Ärztinnen / Ärzte haben sich auf einer wissenschaftlichen Grundlage und ethischen Grundhaltung hohen Anforderungen an die persönliche Gewissenhaftigkeit und selbstauferlegten Berufsregeln der Gesundheit und dem Wohlergehen jedes Einzelnen und der Gesellschaft verpflichtet. Dieser Verpflichtung kommt jede einzelne Ärztin / jeder einzelne Arzt durch ethisch begründetes medizinisches Handeln auf der Grundlage der Regeln ihres Standes und der gesetzlichen Regelungen nach. Ihr Handeln ist dabei durch ein Bewusstsein der historischen Entwicklung des Arztberufs und durch große persönliche Integrität gekennzeichnet. Ärztinnen / Ärzte erfüllen eine zentrale gesellschaftliche Funktion, indem ihr Handeln auf den Erhalt und die Wiederherstellung von Gesundheit gerichtet ist. Dazu müssen sie nicht nur über umfassende wissenschaftlich fundierte Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen, sondern auch in der Lage sein, diese zum Wohl der einzelnen Patientinnen / Patienten in ihrer jeweils individuellen Situation einzusetzen. Aus diesem Grund werden an die Rolle der Ärztin / des Arztes als professionell Handelnde / professionell Handelnder hohe Maßstäbe angelegt, die entweder explizit (z. B. in Gesetzen oder Verordnungen) formuliert sind oder implizit erwartet werden, als Ausdruck des besonderen Vertrauens in individuelle Ärztinnen / Ärzte wie auch den ärztlichen Stand insgesamt. Dazu gehören etwa die in der Berufsordnung niedergelegten ethischen Regeln, die Verpflichtung stets auf der „Höhe der Kunst" zu praktizieren und die Übernahme bestimmter Einstellungen und Haltungen, z.B. Integrität, Uneigennützigkeit, Gemeinnützigkeit sowie Selbstsorge. Diese Verpflichtungen sind die Grundlage für den sozialen Vertrag zwischen den Ärztinnen / Ärzten und der Gesellschaft. Im Gegenzug gewährt die Gesellschaft dem ärztlichen Stand die Freiheit, wesentliche Aspekte ihrer Tätigkeit selbst zu regeln.
Die in Abschnitt II der Gliederung des NKLM folgenden Kapitel umfassen den Kern des für die Rolle der Medizinischen Expertin / des Medizinischen Experten relevanten Wissens und wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns, der klinischen Fähigkeiten und Fertigkeiten in Prävention, Diagnose und Therapie sowie ärztliche Grundhaltungen, die während der Ausbildung erworben bzw. gefestigt werden sollen. Dabei werden Anwendungsbezüge zu Anlässen für ärztliche Konsultationen und zu Erkrankungen in Abschnitt III hergestellt. Die Beschreibung der medizinischen Expertise gliedert sich in die folgenden Kapitel:
Der Abschnitt III des NKLM umfasst alle wichtigen Anlässe für ärztliche Konsultationen und wichtige und exemplarische Erkrankungen. Kriterien für die Auswahl waren dabei insbesondere die Häufigkeit des Auftretens, eine hohe akute Letalität, die Abwendbarkeit von Tod und bleibender Gesundheitsschädigung durch Intervention, eine langfristige Einschränkung der Lebensqualität und die Transferierbarkeit von Prinzipien.
Über das Kriterium der Transferierbarkeit wurden exemplarisch auch seltene Erkrankungen stellvertretend für diese aus mehr als 7000 bekannten Erkrankungen bestehende Gruppe in die Liste mit aufgenommen. In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. Bei der Vermittlung der notwendigen Kompetenzen im Umgang mit seltenen Erkrankungen stehen der methodische Zugang zu spezifischen Informationsquellen und -techniken im Vordergrund und nicht so sehr das Detailwissen über die im NKLM enthaltenen seltenen Erkrankungen.
Kompetenzen werden als verfügbare kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Problemlösung sowie damit verbundene Einstellungen, um diese erfolgreich einzusetzen, beschrieben (vgl. S. 10). Kompetenzen werden als verfügbare kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Problemlösung sowie damit verbundene Einstellungen, um diese erfolgreich einzusetzen, beschrieben. Die „Lerntiefe“ (Schmidt & Moust 2000; Scottish Deans’ Medical Curriculum Group 2009) wird durch die Kompetenzebenen gekennzeichnet. Es werden drei Ebenen unterschieden, die aufeinander aufbauen:
Nach dem hier zugrunde gelegten theoretischen Verständnis ist „Kompetenz“ nicht mit praktischen Fertigkeiten bzw. Fähigkeiten allein gleichzusetzen. Das Erreichen einer Handlungskompetenz (Kompetenzebenen 3a bzw. 3b) setzt den Erwerb von Faktenwissen (Kompetenzebene 1) bzw. Handlungs- und Begründungswissen (Kompetenzebene 2) voraus.
Die hier verwendete Taxonomie zur Beschreibung der Kompetenzebenen hat sich in einem internationalen Kontext entwickelt. Die Kompetenzebenen des NKLM wurden unter Berücksichtigung zweier Standardtaxonomien entwickelt: der sogenannten Miller-Pyramide (Miller 1990) und der Taxonomie des Schweizer Lernzielkatalogs (SCLO, Schweizerische Medizinische Interfakultätskommission [smifk] 2008). In Abb. 4 sind die NKLM-Kompetenzebenen den anderen Taxonomien gegenübergestellt. Trotz konzeptioneller Verwandtschaft sind die Ebenen nicht synonym zu verwenden.
Abb. 4: Kompetenzebenen von NKLM im Vergleich zu Miller-Pyramide und Swiss Catalogue of Learning Objectives for Undergraduate Medical Training (SCLO)
Der Aufbau des NKLM ist auch an die Definition der im Studium der Medizin zu absolvierenden Meilensteine ausgerichtet. Konzeptionell bieten diese einen Rahmen für die unterschiedlichen Umsetzungsphilosophien des NKLM an den Medizinischen Fakultäten in Deutschland. Diese zeitliche Umsetzungsdimension der Kompetenzvermittlung ist inhalts- und kontextspezifisch. Grundsätzlich ist diese Dimension deshalb unverzichtbar, weil der NKLM den Qualifikationsrahmen der ÄAppO nachvollzieht. Die bundesweit gültigen zeitlichen Meilensteine sollen neben didaktischen Aspekten insbesondere zur Patientensicherheit beitragen. Zugleich schaffen sie die Grundlage für die Ausbildung künftiger Generationen wissenschaftlich arbeitender Ärztinnen / Ärzte. Für die Dimension werden fünf Meilensteine definiert, die sich explizit oder implizit aus der ÄAppO herleiten.
3.2.1 Grundlagenkompetenz
Kompetenzen und Inhalte: Kenntnisse der natur-, sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Grundlagen der Medizin
Gesetzliche Grundlagen: im Regelstudiengang M1 der ÄAppO: nach 2 Jahren
Gestaltungsspielraum: in Modellstudiengängen M1-äquivalente Prüfung nach 2-5 Jahren Die Grundlagenkompetenz umfasst im Regelstudium die Inhalte der vorklinischen Fächer und wird durch das M1-Examen nach 2 Studienjahren bundeseinheitlich geprüft. In Modellstudiengängen kann der Nachweis der Grundlagenkompetenz zu einem anderen Zeitpunkt erfolgen, spätestens vor dem Eintritt ins PJ. Der Nachweis der Grundlagenkompetenz der klinisch-theoretischen Fächer kann zu jedem Zeitpunkt des Studiums erfolgen.
3.2.2 Ärztliche Basiskompetenzen für die Ausbildung mit unmittelbarem Patientenbezug
Kompetenzen und Inhalte: Klinisch-praktische Basiskompetenzen inklusive ärztlicher Gesprächsführung, die vor der Übernahme von Aufgaben mit unmittelbarem Patientenbezug trainiert werden sollten (z. B. am Modell, am Gesunden) und als Voraussetzung für die weitere Ausbildung in Einrichtungen der ambulanten und stationären Krankenversorgung dienen können.
Gesetzliche Grundlagen: Die ÄAppO (Anlage 10) beschreibt Prüfungsinhalte des M1, welche die Verknüpfung des „... Grundlagenwissens mit klinischen Anteilen sichern, wie Methodik, Durchführung und Ergebnisse der körperlichen Untersuchung und weiterer diagnostischer Verfahren […], therapeutische einschließlich pharmako-therapeutischer Interventionen, das Verständnis von Krankheitsentstehung, -bewältigung und -prävention, die Gestaltung der Arzt-Patient-Beziehung.“ Nach § 2 Abs. 3 ÄAppO sind „unzumutbare Belastungen von Patienten durch den praktischen Unterricht (…) zu vermeiden.“ Die Überprüfung der praktischen Basiskompetenz unabhängig vom M1 liegt im Ermessen der Fakultäten.
Gestaltungsspielraum: Der klinisch-praktische Unterricht an Patientinnen / Patienten einschließlich der Famulatur erfolgt in der Regel zwischen M1 und M2, der Nachweis der Famulatur muss bis zum M2 erbracht werden. In Modellstudiengängen können die Famulatur oder äquivalente Leistungen zu früheren Zeitpunkten erfolgen.
3.2.3 PJ-Kompetenz
Kompetenzen und Inhalte: Handlungs- und Begründungswissen zur Krankheitslehre und den Pathomechanismen, klinisch-praktische Fertigkeiten und Kenntnisse der Arztrollen: Im Praktischen Jahr „... sollen die Studierenden die während des vorhergehenden Studiums erworbenen ärztlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vertiefen und erweitern. Sie sollen lernen, sie auf den einzelnen Krankheitsfall anzuwenden. Zu diesem Zweck sollen sie entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und in Verantwortung des ausbildenden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen durchführen“ (§ 3 Abs. 4 ÄAppO). Dennoch gilt für alle an der Patientin / am Patienten durchgeführte Tätigkeiten eine Durchführungsverantwortung seitens jeder handelnden Person. Kommt es zu Fehlern, ist die / der handelnde PJ-Studierende im Sinne eines Übernahmeverschuldens mitverantwortlich. Kompetenzbasierte Prüfungen sollten u. a deshalb den Studierenden eine geeignete Rückmeldung über deren patientennahe Kompetenzen noch vor Beginn des PJ geben.
Gesetzliche Grundlagen: PJ-Kompetenzprüfung nach 5 Jahren als Überprüfung der formalen Kriterien der Zulassung zum Praktischen Jahr (ÄAppO 2012: M2 schriftlich)
Gestaltungsspielraum: Zusätzliche Formate einer PJ-Eingangsprüfung im Semester vor dem PJ.
3.2.4 Ärztliche Approbation und Weiterbildungskompetenz
Kompetenzen und Inhalte: Umfasst die Grundlagen- und Wissenschaftskompetenzen sowie die Basis- und PJ-Kompetenzen (siehe 1.-4.) zuzüglich der im praktischen Jahr erworbenen ärztlichen Fertigkeiten und Einstellungen.
Gesetzliche Grundlagen: M3 der ÄAppO, nach 6 Jahren, (ÄAppO 2014: M3 mündlich)
Gestaltungsspielraum: keiner Mit Studienabschluss wird die Fähigkeit zur selbstständigen ärztlichen Berufsausübung und zur Weiterbildung erworben. Bei der Definition der hierfür nötigen praktischen Fertigkeiten sind die Inhalte des Medizinstudiums von denen der Weiterbildung abzugrenzen.
3.2.5 Wissenschaftskompetenz
Kompetenzen und Inhalte: Fähigkeit zum selbstständigen wissenschaftlichen Denken, Arbeiten und Handeln
Gesetzliche Grundlagen: implizit mit Abschluss des Universitätsstudiums: nach 6 Jahren
Gestaltungsspielraum: bereits vor Studienabschluss nachzuweisen Das Medizinstudium ist ein Universitätsstudium. Alle Studierenden sollen die wissenschaftliche methodische Basis der medizinischen Fächer kennen (z. B. naturwissenschaftliche, sozialwissenschaftliche und klinische Methoden, einschließlich Versuchsplanung und Datenauswertung und Bewertung) und die Grundlagen des wissenschaftlichen Lesens und Reflektierens beherrschen (z. B. Literatursuche, Methodenkritik, alternative inhaltliche Deutungen der Befunde, historische Kontextualisierung der eigenen Arbeit). Ziel ist ein wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn als unabdingbare Grundlage ärztlichen Handelns. Dazu gehört auch die Anwendung der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse auf einzelne Patientinnen / Patienten. Bisher wird implizit allen Absolventinnen / Absolventen mit Staatsexamen die Befähigung zur Promotion bescheinigt, ohne dass diese Kompetenz geprüft wird. Promovierende sollen die wissenschaftliche methodische Basis der medizinischen Fächer vor Beginn des Promotionsvorhabens kennen lernen.
Im Unterschied zu anderen Kapiteln werden in Kapitel 20 Anlässe für ärztliche Konsultationen sowie Kapitel 21 Erkrankungsbezogene Prävention, Diagnostik, Therapie, Versorgungs- und Notfallmanagement keine Kompetenzen oder Lernziele ausformuliert, sondern Listen erstellt.
Für die in Kapitel 20 genannten Anlässe wird eine globale Kompetenzebene als Aufnahmekriterium gesetzt. Hiernach können Absolventinnen / Absolventen fallbezogen einen Behandlungsplan entwickeln, der präventive, diagnostische und therapeutische Maßnahmen umfasst, können diesen eigenständig einleiten und den Betroffenen vermitteln.
Das Kapitel 21 umfasst eine Auswahl relevanter Krankheitsbilder aus allen klinischen Bereichen, zu denen Absolventinnen / Absolventen Kompetenzen in unterschiedlicher Tiefe erwerben sollen. Die jeweils angegebene Kompetenz ist bis spätestens zum Ende des Praktischen Jahres zu erreichen. Die ausgewählten Erkrankungen sind entweder einer Wissensebene (Kompetenzebene A entsprechend den NKLM-Kompetenzebenen 1 und 2) oder zusätzlich auch einer Handlungsebene (Kompetenzebene B entsprechend den NKLM-Kompetenzebenen 3a und 3b) zugeordnet und mit verschiedenen Deskriptoren verknüpft.
Kompetenzebene A umfasst erkrankungsbezogenes Wissen zu Begrifflichkeit, Epidemiologie, Pathophysiologie, Ätiologie, Klinik, Diagnostik, Therapie, Prognose, Prävention und Versorgungspfaden.
Kompetenzebene B umfasst über die Kompetenzebene A hinaus erkrankungsbezogene Handlungskompetenz in mindestens einem der folgenden Bereiche, die als Deskriptoren bezeichnet werden:
Abb. 5: Kompetenzebenen und Deskriptoren in Kap. 21 „Erkrankungsbezogene Prävention, Diagnostik, Therapie, Notfall- und Versorgungsmanagement“
Zu allen Einträgen in Kapitel 21 wurden Querverweise zu den Kapiteln 12 bis 20 eingefügt, die näher spezifizieren sollen, welche Kompetenzen, Teilkompetenzen und Lernziele konkret gemeint sind. Außerdem sollen die Erkrankungen in der anderen Richtung als Anwendungsbeispiele mit Querverweisen aus den anderen Kapiteln des NKLM dienen. Eine Vervollständigung der Querverweise und eine Überprüfung des Wechselspiels insbesondere zwischen Kapitel 21 und den übrigen Teilen des NKLM werden wichtiger Teil der Erprobungsphase in der Verantwortung der Medizinischen Fakultäten sein.
Die Gliederung erfolgt nach dem vorrangig betroffenen Organsystem. Sind mehrere Organsysteme von der Erkrankung betroffen, wurde ein primäres Organsystem zur Sortierung festgelegt (weitere Organsysteme sowie Fachbezüge können über die Suchfunktion gefiltert werden). Leitsymptome sind nicht, oder nur in Ausnahmefällen aufgeführt.
Stellvertretend für mehr als 7000 bekannte seltene Erkrankungen, wurden außerdem exemplarisch auch seltene Erkrankungen (SE) in die Liste aufgenommen. In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind.